Texte

Text von Dr. Maya Anna Rosalie Großmann zu den Kunstwerken Hildegard Manns

Hildegard Mann geht in ihren Werken Licht und Schatten auf den Grund. Als Bildträger ihrer Arbeiten nutzt sie Holz, auf welches sie Papier klebt. Dieser hölzernen und papierenen Substanz fügt die Künstlerin weitere Materialitäten wie Sand, Zement oder Glas bei. Es handelt sich um Kunstwerke, die wie Gemälde erscheinen, da sie in Farbe gestaltet sind und an einer Wand angebracht sind. Jedoch sind die Kunstwerke nicht „gemalt“ im klassischen Sinne, sie sind durch Aufbringungen plastisch gestaltet und muten reliefhaft an. Die Fläche, die meist lediglich zum Träger von plastischem Material und Farbschichten wird, avanciert in den Werken von Hildegard Mann zu einem Experimentierfeld der Möglichkeiten. Der Fokus liegt dabei (auch wenn es die Titelgebungen, wie beispielsweise bei dem Werk „Farbfeldforschung“ vermuten lassen) nicht nur auf der Farbigkeit. Viel mehr erzeugt die Künstlerin durch den Einsatz von Farbe, Papier und weiteren Materialitäten gleichzeitig changierende Farbigkeit, Flächigkeit und Räumlichkeit. Auch wenn die Kunstwerke in Schwarz und Weiß gestaltet sind, lässt die Farbigkeit ein Gros an zusätzlichen, zwischen diesen beiden Polen angesiedelten, Farbwerten erkennen. Zum Träger ihrer Inhalte arriviert Hildegard Mann auf diese Weise vor allem das Licht. Das Licht – das auf der plastischen Oberfläche entweder eingefangen oder reflektiert wird – ist es, welches das Farbspektrum zwischen weiß und schwarz für das Auge der Rezipient:innen eröffnet. So lassen die Kunstwerke an das philosophische Prinzip der Polarität denken: Bei den beiden Polen schwarz und weiß handelt es sich um gegensätzliche Enden einer Einheit.

Anklänge an dieses Prinzip werden auch in der zwei Meter großen Papierarbeit „Schwarz, schwarz – Weiß, weiß“ erzeugt. Hier kombiniert die Künstlerin einheitliche, schwarze und weiße Papierflächen. Quantitativ bestechend sind die Nichtfarben schwarz und weiß. Allerdings lassen die Werke mehr erkennen als bloße Kontraste: Durch den Lichteinfall werden Farbveränderungen sichtbar. Je nach Lichtsituation ergeben sich andere Schatten- und Lichtverläufe auf der papierenen Oberfläche, wodurch Dynamik erwirkt wird. Dem Auge der Rezipient:innen eröffnet sich bei längerer Betrachtung der Werke ein immer wieder neues, sich stets veränderndes Farbfeld. Zudem wird das Gleißende des Weiß und das Tiefe, dunkle des Schwarz durch das Licht hinterfragt. So scheinen die Arbeiten die Rezipient:innen zu fragen: „ist das Gemälde schwarz oder weiß oder sind es verschiedene Farbschichten, die hier in den Vordergrund treten?“ Ob die Betrachter:innen diese produktionsästhetisch angelegte Frage in eine reflexive rezeptionsästhetische Antwort verwandeln, indem sie während des Werkgenusses darüber philosophieren, ob eine lediglich schwarze und eine weiße Weltsicht zielführend ist oder ob es eher die Facetten zwischen diesen beiden Polen (bzw. innerhalb der Polarität) sind, in denen das echte, dynamisch Leben geschieht, sei dahingestellt.

Auch die zusammengefügten „Papierquadrate“ der Arbeit „Farbfeldforschung“ eröffnen zwischen Schwarz und Weiß changierende Farbwelten. Das Muster, das durch die Quadrate erzeugt wird, ist sowohl vertikal als auch horizontal lesbar. Die klassische Leserichtung eines Gemäldes (von links oben, nach rechts unten) wird dadurch aufgebrochen. So wird der Blick der Rezipient:innen dynamisiert. Eingang in das Bild findet der Blick er Betrachter:innen hier mittig. Von der Bildmitte ausgehend wird der Blick in unterschiedliche Richtungen geführt. Hier werden die Farbunterschiede vor allem durch die Oberflächenbehandlung erzeugt. Die Künstlerin hat hier auf handgearbeitete Papierquadrate u.a. Sand und Zement aufgetragen.

Die Quadrate hat sie schließlich auf Holz zu einem Ganzen zusammengefügt. In Ihrer Gänze erscheinen die einzelnen Werke zwar jeweils schwarz oder weiß – durch die differente Farbigkeit und Materialität der Papierstücke fällt allerdings auf, dass das Werk aus einer Vielzahl an Teilen besteht. Die erhabene Fläche, der Quadrate, die durch das Aufbringen von u.a. Sand entstanden ist, führt dazu, dass das Werk von der Fläche in den Raum verweist. Dies geschieht subversiv, fast unmerklich und doch erzeugt die von Quadrat zu Quadrat divergierende Haptik einen dynamischen reliefhaften Charakter des Werks. Hinzu kommen Kontraste, die vor allem die Farbigkeit betreffen: eine glatte Oberfläche wird teils matt und teils glänzend behandelt. Verbindendes Moment der Teile dieser Serie ist die Heterogenität, die zu einer Homogenität in der Gänze des jeweiligen Serienstücks und innerhalb der gesamten Serie führt. Es handelt sich insgesamt um eine fünfteilige Serie, die Einzelarbeiten messen circa 120 x 80 cm. Durch die Behandlung der Oberfläche und die differente Farbigkeit wird je nach Lichteinfall ein anderes Bild erzeugt. Licht wird hier entweder absorbiert oder reflektiert. Die Künstlerin drückt es treffend aus: „Weiß bleibt dabei nicht weiß und Schwarz nicht schwarz.“ Die verschiedenen Materialien setzt Hildegard Mann dabei gezielt ein, um unterschiedliche Höhen und Tiefen zu erzeugen, die das Licht unterschiedlich einfangen. So eröffnet Sie für die Rezipient:innen differente Sichtweisen – auf ihre Kunstwerke und womöglich auch auf die Welt.

Inspiriert wurde Hildegard Mann unter anderem durch die Künstlergruppe ZERO und durch die sogenannte Konkrete Kunst, die sich der Geometrie und starken Farbkontrasten bedient. Geometrische Elemente und Kontraste finden sich in den Werken Hildegard Manns zweifellos. Dass ihre Arbeiten zudem durch die sogenannte lichtvolle Monochromie geprägt sind, welche typisch für ZERO-Kunst ist, lässt sich ebenfalls nicht bestreiten.

Nun wird Hildegard Manns Kunst in der Ausstellung „Korrelation“ gezeigt. Dies ist besonders passend, da der genaue Blick auf die Arbeiten offenlegt, dass in ihnen vieles korreliert: So gehen unter anderem Schwarz und Weiß sowie Licht und Schatten eine Wechselbeziehung ein. Die Ausstellung „Korrelation“ läuft unter dem Jahresthema „Materialität und Medium“. Auch dies ist wiederum passend, da die Körperlichkeit, die stoffliche Substanz, aus welchen Hildegard Manns Arbeiten aufgebaut sind, ebenfalls eine große Rolle spielt. Dem Bildträger, dem Bildmedium also, kommt in ihren Kunstwerken eine besondere Wichtigkeit zu.

Mit den anderen Kunstwerken dieser Ausstellung ergeben sich sicherlich spannende Bezüge, wodurch nicht nur „bildintern“ sondern auch extern reizvolle Korrelationen entstehen können.

Text von Dr. Regina Erbentraut zur Ausstellung „Land in Sicht“
auf Schloß Güstrow

Die Kunst von Hildegard Mann könnte man aus der Tradition der nachkriegsdeutschen Werk-kunstschulen ableiten, in denen sich handwerkliches Verständnis, innovative Ansätze im Umgang mit Materialien und die experimentellen Tendenzen der freien Kunst verbanden. Vielfach waren diese Schulen von der konstruktiven Formensprache der Bauhauslehre geprägt, die Gattungsübergreifend Bildende Kunst, Architektur und Kunsthandwerk gleichwertig vereinte. Hildegard Mann hat jedoch einen anderen Weg genommen. Nach figurativen, plastischen Versuchen fand sie sehr bald aus aus dem eigenen modellierenden Tun heraus zu ihrem eigentlichen Material, dem Papier, und damit zur Ungegenständlichkeit. Gleichwohl stehen ihre ästhetischen Findungen letztendlich in der Nachfolge der Zero-Gruppierung: man denkt besonders an den Pionier zeitgenössischer Papier-Kunst, Oskar Hollweck, der an der Saarbrücker Werkkunstschule lehrte, aber auch an Otto Pienes kinetische Arbeiten oder an Günter Ueckers Bildstrukturen und abstrahierten Naturbezüge.

 Wie Hollweck reißt und klebt Hildegard Mann; ihre Papierreliefs leben von der Zwiesprache mit Licht und Schatten. Sie arbeitet seriell und unterscheidet sich doch in einem wesentlichen Punkt von dem Saarbrücker Zero-Künstler: die Farbe, starke Buntfarben ebenso wie Schwarz und Weiß, ist neben der Auseinandersetzung mit den künstlerischen Möglichkeiten des Japanpapiers ihr zentrales Thema. Zeitweise hat sie, vor allem in ihren kinetischen, aus Papierscheiben gebildeten Mobile-Objekten, ein leuchtendes sattes Rot oder ein an Yves Klein erinnerndes Ultramarin verwendet. Nicht Schwarzbeimischungen, also keine Pigmente, modulieren die Farbe, sondern natürliche Schatten. Sie nisten weich in den Vertiefungen und Schichtungen des Papiers wie in den Faltenwürfen der Madonnen und Heiligen auf altniederländischen Gemälden. Die kunstvoll erzeugte Illusion spätgotischer Malerei wird bei Hildegard Mann zur konkreten Wirklichkeit. Unter diesem malerischen Aspekt bearbeiten die alten Meister und die zeitgenössische Künstlerin dieselbe künstlerische Fragestellung; die Veränderung von Farbe unter den Bedingungen des Lichtes und der Umgang mit Dreidimensionalität.

Immer wieder bricht Hildegard Mann wie in einer Art spielerischem Mutwillen die kalkulierte Streng und Regelhaftigkeit konstruktiver Positionen. Dazu gehört auch, dass ihre reduzierte Kunst-ganz im Gegensatz etwa zur Minimal Art-vom Manufaktur-Charakter mit seiner natürlichen Irregularität bestimmt ist. Das handgeschöpfte Japanpapier hat Adern gleich verlaufende Fasern. Es ist fragil und robust in einem. Die grundsätzlich ungetönten Papiere erhalten ihre Farbigkeit von der Hand der Künstlerin. In großen Pinselzügen bringt sie vor der Verarbeitung die Pigmente auf die Papierbahnen und erzeugt mit der wolkigen Inhomogenität des Auftrags jene optischen Höhen und Tiefen, die später das haptisch erfahrbare Bildrelief in seiner Lebhaftigkeit unterstützen. Das älteste der vier angekauften Bilder aus dem Jahr 2006-von einem lichten Rot-trägt den Titel Kolonnen der auf die konkreter Kunst zu eigene Reihung und Wiederholung, auf modulare Systeme anspielt. Die Reliefoberfläche ist horizontal alternierend von zwölf rinnenartig vertieften und zwölf erhabenen Graten strukturiert. Jedem Faltenberg und jedem Faltental liegt das auf die Holzplatte gezeichnete Maß von 1 cm zugrunde. Durch ihre spezielle Verarbeitung der Papierstreifen folgt Manns Exaktheit nur bedingt den berechneten Vorgaben, sondern teilt sich schließlich als eine gefühlte und plausible Ordnung mit. Die Papierstreifen mit ihren gerissenen Kanten überziehen wellenartig in regelmäßigem Duktus die Oberfläche. Das entstehende Muster und die Art der Faltung evozieren Vergleiche aus der Textilverarbeitung: A Jour, Plissee, Fransen, Kette und Schuss.

Eine zentrale Arbeit im Oeuvre von Hildegard Mann ist das Bild Schwarz. Es thematisiert, dass auch Schwarz über alle Eigenschaften von Buntfarben verfügt, und es zeigt, wie sehr die natürliche Dynamik von Licht und Schatten, Tiefen und gratigen Kanten, die Bewegung und die Feuchtigkeit der Luft sowie die Bewegung des Betrachters im Raum dem scheinbar monochromen Bild ungezählte Farb-Modulationen entlocken, wie sie gewissermaßen eine polychrome Monochromie entfalten. In großen dichtgeführten Schwüngen sind die Papierstreifen auf den Bildträgern geklebt. Die Assoziation mit Erscheinungen der Natur stellt sich ein: den Wellen des Wassers, dem Wogen von Gräsern, der lagigen Textur von Schiefergestein. Gleiches gilt für artundweiß . Zu Weiß lassen sich dieselben Aussagen wie zum Gegenpol Schwarz treffen. Auch hier vollenden die natürlichen Bedingungen der Umgebung die Arbeit der Künstlerin. Der schattentiefste Ton in artundweiß wird sich dem lichtesten Grauwert von Schwarz nähern. Die leise kinetische, zufallsbestimmte Interaktion zwischen Artefakt und natürlicher Umgebung ist fester Bestandteil von Manns künstlerischem Konzept.

Die zweiteilige Arbeit Zwischenzeilen von 2017 tendiert zur weiteren Reduktion. Schwarze Papierstreifen werden durchfeuchtet, zusammengeschoben und gerissen, so dass sich unterschiedlich dicke und unterschiedlich lang Stücke ergeben, die auf einer Acrylglastafel fixiert werden. Die Vorstellung einer typographischen Gestaltung im Blocksatz mit ein- und mehrsilbigen Wörtern, mit großen und kleinen Buchstaben und großem Zeilenabstand stellt sich sofort ein. Die Zweiteiligkeit der Arbeit erzeugt die Anmutung eines aufgeschlagenen Buches. Eine dritte, entscheidend mitsprechende Schicht bildet die weiße Wand, an die die Tafeln gehängt werden. Das auftreffende Licht lässt die Papierzeilen Schatten auf den Grund werfen, so dass die Wand zu einem weiteren Bildträger wird. Es entsteht ein räumliches, bedeutungsvolles Zwischen-den-Zeilen, eine Art Metatext: veränderlich, situationsabhängig, undeutlich und geheimnisvoll – wie das nicht explizit Gesagte, aber eigentlich Gemeinte, das wir manchmal zwischen den Zeilen eines Textes suchen.